Gemeinsame Mahlzeiten können in Familien mit hyperaktiven Kindern eine besondere Herausforderung darstellen. Während viele Familien das Familienessen als Ort der Ruhe und des Austauschs geniessen, sieht der Alltag bei hyperaktiven Kindern oft anders aus: zappelige Beine unter dem Tisch, ständiges Unterbrechen von Gesprächen und selektives Essen gehören häufig dazu. Noch schwieriger wird, wenn sich beispielsweise die erweiterte Familie zum gemeinsamen Festessen trifft, denn da kommt noch die ungewohnte Umgebung und die Aufregung dazu. Lesen Sie dazu auch unsere Survival-Tipps für die Festtage.
Inhaltsverzeichnis
Die Herausforderung gemeinsamer Mahlzeiten
Für viele Eltern bedeutet das Familienessen daher Stress statt Entspannung. Doch genau in diesen Momenten liegt eine grosse Chance: Denn regelmässige Mahlzeiten stärken nicht nur den familiären Zusammenhalt, sondern fördern auch soziale Kompetenzen und die Eltern-Kind-Bindung.
Darüber hinaus können Kinder, die an strukturierten Familienessen teilnehmen, langfristig von besseren Essgewohnheiten und einem stärkeren Gefühl der Geborgenheit profitieren.
Ernährung und ADHS/Hyperaktivität: Ein komplexer Zusammenhang
Der Einfluss von Ernährung auf hyperaktive Kinder wird seit Jahrzehnten erforscht. ADHS ist zwar definitiv keine Ernährungsstörung, trotzdem gibt es Hinweise darauf, dass bestimmte Lebensmittel und Ernährungsgewohnheiten die Symptome bzw. die Stärke der Symptome positiv oder negativ beeinflussen können.
- Die oligoantigene Diät: Diese Diät basiert auf dem Ausschluss potenziell problematischer Lebensmittel wie künstlicher Farb- und Konservierungsstoffe. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen gemäss einem Artikel in der Zeitschrift UGBforum des Verbands für Unabhängige Gesundheitsberatung, dass sie bei ungefähr 2/3 der Kinder mit ADHS eine Reduktion der Symptome bewirken kann. Es handelt sich jedoch nicht um eine universelle Lösung, und jede Ernährungsumstellung sollte mit einer auf ADHS spezialisierten Ernährungsberaterin oder einem Ernährungsberater abgesprochen werden.
- Zucker und Hyperaktivität: Entgegen der weit verbreiteten Annahme hat Zucker keinen direkten Einfluss auf die Hyperaktivität. Trotzdem können zuckerreiche Snacks die Energiezufuhr destabilisieren, was bei Kindern mit ADHS zu Konzentrations- oder Aufmerksamkeitsproblemen führen kann.
Praxis-Tipp: Führen Sie einige Wochen lang ein Ernährungstagebuch, um herauszufinden, ob ein Zusammenhang zwischen bestimmten Lebensmitteln und dem Verhalten ihrer Kinder zu erkennen ist.
Strukturierung des Familienessens
Struktur ist der Schlüssel zu harmonischeren Mahlzeiten – insbesondere mit hyperaktiven Kindern. Wenige einfache, klare Regeln und Routinen helfen den Kindern, sich auf den Beginn des Essens einzustellen und Ablenkungen zu minimieren. Halten Sie Regeln schriftlich fest und hängen Sie sie gut sichtbar auf (es gibt auch schöne Blechschilder – Werbelink). Je älter die Kinder sind, desto mehr können Sie von ihnen verlangen.
- Feste Essenszeiten: Nicht nur Kinder mit ADHS profitieren von festen Tagesabläufen. Diese geben Sicherheit und fördern die Akzeptanz von gemeinsamen Familienessen.
- Reizarme Essumgebung: Stellen Sie sicher, dass der Esstisch ein ruhiger Ort ist. Reduzieren Sie Hintergrundgeräusche wie Musik oder laufendes Fernsehen und vermeiden Sie visuelle Ablenkungen, wie blinkende Geräte. Handys und Tablets gehören nicht an den Esstisch!
- Kleine Rituale: Beginnen Sie das Familienessen mit einem kurzen Ritual, etwa einem Dankbarkeitsspiel, einem Lied, oder einem Gebet, das den Fokus auf den Moment lenkt und den Startpunkt für die Mahlzeit setzt.
Praxis-Tipp: Nutzen Sie Tischsets mit klaren Markierungen für Besteck und Teller – das schafft visuelle Ordnung auf dem Tisch und hilft den Kindern, sich zurechtzufinden. Erhältlich zum Beispiel bei Webake (Werbelink)
Umgang mit wählerischem Essverhalten
Viele hyperaktive Kinder und solche mit ADHS lehnen neue Lebensmittel ab und haben einen relativ engen Speiseplan. Dies kann mit sensorischen Empfindlichkeiten – viele sind sehr sensibel auf bestimmte Gerüche oder Konsistenzen – oder der Impulsivität im Umgang mit Neuem zusammenhängen:
- Mini-Portionen testen: Bieten Sie unbekannte Lebensmittel in kleinen Mengen neben vertrauten Speisen an. So sinkt die Hemmschwelle, etwas Neues zu probieren.
- Unverkrampfte Atmosphäre: Vermeiden Sie es, den Fokus zu stark auf das Essverhalten zu legen. Ein „Probierbissen“ ohne Zwang ist oft effektiver als Diskussionen. Formulieren Sie Ihre Erwartungen klar: «1 Löffel / Bissen probieren, dann ist es gut».
- Positive Verstärkung: Loben Sie Ihr Kind für kleine Erfolge, etwa wenn es etwas probiert hat, das es vorher abgelehnt hat oder wenn es etwas erneut probiert, das es vor einiger Zeit (noch) nicht gemocht hat.
Praxis-Tipp: Präsentieren Sie Lebensmittel in spielerischer Form, z. B. als bunte Obstspiesse oder Gemüsegesichter auf dem Teller.
Praktische Tipps für entspannte Familienmahlzeiten
Neben der Strukturierung des Familienessens können auch kreative Ansätze helfen, das Chaos zu minimieren:
- Die Kinder mit einbeziehen: Lassen Sie hyperaktive Kinder bei der Zubereitung, beim Tisch decken oder Tisch abräumen helfen. Das gibt ihnen Verantwortung und Wertschätzung, und reduziert die Unruhe am Tisch.
- Visuelle Hilfsmittel: Nutzen Sie Menüpläne oder farbige Timer, um den Ablauf des Essens zu verdeutlichen.
- Flexible Regeln: Jedes Kind hat unterschiedliche Bedürfnisse. Manche essen lieber kleine Portionen über den Tag verteilt, anderen fehlt aufgrund gewisser Medikamente tagsüber der Appetit und sie haben erst abends richtig Hunger – das ist in Ordnung, solange die Ernährung insgesamt ausgewogen bleibt! Passen Sie die Regeln den Bedürfnissen an, nicht umgekehrt!
Praxis-Tipp: Planen Sie ab und zu einen „Freestyle Tag“, an dem jedes Familienmitglied eine Wunschmahlzeit aussuchen darf, oder „Selbstbedienung“, bei der jedes einfach das aus dem Kühlschrank nehmen darf, auf das es Lust hat.
6. Nährstoffreiche Mahlzeiten für hyperaktive Kinder
Eine ausgewogene Ernährung ist essenziell, um Kinder mit ADHS zu unterstützen. Achten Sie insbesondere auf folgende Punkte:
- Wichtige Nährstoffe: Omega-3-Fettsäuren, komplexe Kohlenhydrate und Proteine stabilisieren den Blutzuckerspiegel und fördern die Konzentration.
- ADHS-freundliche Mahlzeiten: Ideen wie Vollkornomeletten mit frischen Früchten oder Beeren, oder Wraps mit Gemüse und Hummus bieten Abwechslung und Nährstoffe.
- Appetitlosigkeit durch Medikamente: Bieten Sie tagsüber kalorienreiche Snacks wie Smoothies mit Nussmus oder Vollkorn-Cracker mit Käse an und/oder erlauben Sie abends nach dem Abendessen noch einen späten Imbiss.
Praxis-Tipp: Lassen Sie Ihr/e Kind/er eine „Top 5“ der Lieblingsgerichte erstellen und erweitern Sie diese Liste langsam.
Familienessen als positive Erfahrung gestalten
Das Familienessen kann eine wertvolle Gelegenheit sein, die Bindung in der Familie zu stärken, gemeinsame Erlebnisse zu schaffen und die Familiendynamik positiv zu beeinflussen – gerade für Familien mit ADHS-Kindern. Um das Essen zu einer positiven Erfahrung zu machen, können diese Ansätze helfen:
- Kommunikation fördern:
Nutzen Sie die Mahlzeit mit der Familie, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Statt schwierige Themen anzusprechen, die zu Konflikten führen könnten, stellen Sie positive, offene Fragen: „Was hat dir heute Freude gemacht?“ oder „Wenn du eine Superkraft haben könntest, welche wäre es?“ Solche Gesprächsimpulse schaffen eine freundliche und entspannte Atmosphäre. Hören Sie Ihren Kindern zu und lernen Sie sie besser kennen. - Lob und Anerkennung:
Kinder mit ADHS profitieren besonders von Lob für positives Verhalten. Einfache Worte wie „Ich habe bemerkt, wie ruhig du heute geblieben bist – das war toll!“ oder „Danke, dass du uns beim Tisch abräumen geholfen hast!“ können Wunder wirken. - Kooperation und Mitverantwortung fördern:
Lassen Sie Kinder kleine Aufgaben übernehmen, damit sie sich als nützlichen Teil der Gemeinschaft wahrnehmen, z. B. das Auswählen der Servietten oder das Verteilen von Getränken. Solche Aufgaben stärken nicht nur die Selbstständigkeit, sondern fördern auch die Bindung an die gemeinsame Mahlzeit. - Themenabende und spielerische Elemente:
Themenabende wie „Taco-Dienstag“, „Frühstück zum Abendessen“ oder „Italienische Nacht“ machen das Essen aufregender. Dabei können Kinder mit ADHS in die Planung einbezogen werden: Vom Tisch decken im passenden Stil bis zur Auswahl des Desserts. - Regeln ausser Kraft setzen: Es hilft zwar nicht gegen das Chaos, wenn Sie ab und zu gewisse Essregeln ausser Kraft setzen, aber es macht grossen Spass, wenn man zum Beispiel mit den Fingern essen darf. Und was gibt es für eine Familie Besseres, als gemeinsam zu Lachen?
Fazit: Schrittweise zu harmonischeren Familienmahlzeiten
Ein harmonisches Familienessen mit einem hyperaktiven Kind zu schaffen, ist ein Prozess, der Geduld und Experimentierfreude erfordert. Indem Sie Struktur, Flexibilität und spielerische Elemente einbringen, können Sie die Zeit am Esstisch in einen positiven Moment und wichtigen Fixpunkt im Alltag verwandeln.
Starten Sie mit kleinen Änderungen und beobachten Sie, welche Strategien für Ihre Familie am besten funktionieren. Jede positive Entwicklung zählt und bringt Sie ein Stück näher an entspanntere Mahlzeiten.